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Soundtracks der Wochen ab 02/2003

 

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Soundtrack der Woche.
29_2003

Willkommen zuhause Laika Und der Rest ist Warten

willkommen zuhause laika

[otto] Wo ist eigentlich daheim?

Da wo die Eltern noch wohnen, da wo der Kaffee jeden morgen aufs Neue gekocht wird oder vielleicht schlicht und einfach immer genau dort, wo man sich gerade zu Hause fühlt?
Letzteres stellt sich bei der Leipziger Band "Willkommen zu Hause Laika" mit ihrem dritten Album "Und der Rest ist warten" fast wie von alleine ein. Groovende Rythmen , ein spröder Funk und das richtige Stück Seele nehmen einen bei der Hand und los geht die kurzweilige Zugfahrt durch den grau-bunten Alltag.

Im Abteil gibts mal Sounds, die an die Sterne, Stereolab oder die Cardigans erinnern lassen und weiche, weiche Polster zum reinfallen. Und auf dem ausgelegten Reiseplaner stehen Seitenweise Gedankenschlangen, die der Sänger Izy Kusche derart in Worte packt, das sie auf jeden ICE getackert werden sollten. Aber auch pure Instrumentalstücke geben dem Album seinen frischen Geschmack.

Da wo das Funkbrötchen spricht, haben die Krümel eben zu schweigen. Und das tut gut so. Auf der beschwingten Reise verliert sich die Zeit manchmal wie von selbst und es genügt ein Frühstück mit netten Leuten, um die Platte durchzuhören.

Mit "Und der Rest ist warten" beweisen "Willkommen zu Hause Laika", das eingängige und intelligente Popmusik nicht unbedingt aus Berlin, Köln oder Hamburg stammen muss und das es sich lohnt, sich all die Jahre lang auf Deutschlands Bühnen durchzuspielen. Und damit die eigene Musik dann auch da draußen gehörtwerden kann, macht man eben schnell seine Lieblingskneipe "Ilses Erika" zum neuen Plattenlabel.

Markiert also Leipzig auf Eurer persönlichen Pop-Landkarte. Und der Weg führt immer nach daheim.



 

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Soundtrack der Woche.
26_2003

Black Box Recorder Passionoia

black box recorder

[Stefan] Schulbeginn. Chorgesang. Fußballstadiensmäßig wird "Black Box Recorder" skandiert. Und dazu rhythmisch geklatscht. Man wird förmlich überrannt von jugendlichem Überschwang. Das ist der etwas verstörende Anfang von "School Song", dem ersten Stück auf "Passionoia", dem dritten Album von Black Box Recorder.

Auf dem heutigen Lehrplan der Band um Ex-Auteurs-Kopf und Chefzyniker Luke Haines: Die Jugend und ihre zahlreichen Verwirrungen. Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Was erwartet die Gesellschaft von mir? Wen liebe ich?

Eingeflößt werden die unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen von Sängerin Sarah Nixey. Wandlungsfähig gibt sie zunächst die strenge, unnahbare Lehrerin in der "Black Box Recorder School Of Song". This is an educational establishment, not a night club. Und gibt uns den Rat: "Destroy your record collection, it's for your own protection".

Dann übernimmt sie die Rolle des träumenden Mädchens in "British Racing Green". Und wünscht sich acht Stunden Schlaf. Ein kleines Anwesen am Meer. Eine sichere Existenz. Um kurz darauf ganz abgeklärt und selbstbewusst ihre Zukunft als neue Prinzessin Diana zu sehen. Und später wiederum ihren Geschlechtsgenossinen in "Girls Guide For The Modern Diva", zu eröffnen, was es braucht, um in heutigen Zeiten Frau zu sein. Ruhig sitzen. Diamanten auf den Rücksitz einer Limousine fallen lassen. Seinen Träumen entsprechen. Texter Luke Haines` oberstes Ziel ist dabei immer: Der britischen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Verstören, wo es geht. Eine Lektion erteilen eben.

Die musikalische Lektion ist ebenfalls schnell gelernt: Destory your record collection. Tabula Rasa. Auch für Black Box Recorder. Breitwand-Synthesizer-Pop statt der intimen kleineren Songs der ersten beiden Alben. Die Single "These Are The Things" erinnert an Everything But The Girl. Manches andere vielleicht entfernt an St. Etienne. Großgeworden ist man jedoch in den 80ern. Nach Andrew Ridgely, dem längst in Vergessenheit geratenen Partner von George Michael bei Wham, ist ein Stück benannt. I was brought up to the sound of the synthesizer. I learned to dance to the beat of electronic drums. Pop, britisch.

Deswegen lässt auch das letzte Stück "I Ran All The Way Home" durchscheinen, warum die Band von englischen Musikmagazinen gerne in die Nähe von Pulp gestellt wurde. Die Schulstunde endet nach 38 Minuten. Nachsitzen erlaubt, sogar erwünscht.



 

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Soundtrack der Woche.
23_2003

St. Thomas Hey Harmony

st.thomas

[Vero] Das haben Country-Folk-Platten nun mal so an sich, dass sie einen nicht gerade vor die Tür kicken und einem ins Gesicht brüllen: "rock it". Aber es geschehen noch Zeichen und - vor allem - Wunder. "Hey Harmony" ist Zweiteres und Thomas Hansen kein Mensch, sondern heilig.
Okay- St Thomas märtyrert sich nicht in der Art, wie er das auf seinem Vorgängeralbum "I'm coming home" praktiziert hat. Er knechtet uns auf "Hey Harmony" nicht mehr mit dieser Melancholie, täuscht keine Marienerscheinungen vor und verdammt uns nicht zu einem Abend mit der Rotweinflasche auf Du und Du. Und darin besteht das Wunder.

Selten erlebt, dass man sich nach dem Genuss eines Country-Folk-Albums noch aus dem Haus traut. Aber so ist das in diesem Fall. Vielleicht liegt das an dem netten Schellenkranz, der nahezu jeden Song dieser Platte beschwingt begleitet. Soll heißen - ein paar kühl-blonde Gedanken an Velvet Undergrounds Nico können beim Hören dieses Tonträgers schon mal aufkommen. Aber ich sage "ja" zum Schellenkranz, damit "ja" zum Sommer und natürlich "ja" zu Berlin.

In Berlin hat Thomas Hansen die Songs für dieses Album geschrieben. In Berlin im Sommer 2002. Und wenn sich der geifernde Rest der Republik, der "Geh doch nach Berlin" von Angelika Express zur seiner Hymne erklärt hat, noch so gegen den "Hauptstadt-Hype" echauffiert - St Thomas says: "Die neue Platte ist sehr optimistisch, weil ich in Berlin ein neues Lebensgefühl kennen lernen konnte. Man bekommt den Eindruck, dass dort niemand ans Arbeiten denkt. Es war mehr oder weniger eine einzige Party. Diese Unbeschwertheit ist es, die ich ausdrücken wollte."

Bravo. Thomas Hansen hat die Stadt verstanden und erklärt sie dem, der sie nicht versteht oder nicht kennt auf "Hey Harmony". Weil hier im Sommer nichts kompliziert ist, ist auch auf diesem Album nicht kompliziert oder gewollt. Hier ist gerade nichts, aber auch gar nichts zum Heulen, und darum wird man auf dieser Platte kaum große Streicherarrangements finden- im Gegenteil. Ziemlich gut gemacht kommt auf "Hey Harmony" eher mal eine nette Solotrompete zum Zug, eine Töle bellt unrhythmisch oder irgendwelche Kids vergöttlichen des Heiligen Cowboymetaphorik. So nettes kleines Zeug ist auf diesem Album eben, das ein Album nicht selten zu einem guten Album werden lässt.

Die Lambchop-Kollegen, die machen's hier möglich und Thomas Hansen singt wie eine Mischung aus Thom E.Yorke für Country und einem Heiligen. "Be cool- Be nice- get sponsored by Levis"- und dann erobere gefälligst die Welt. Viel Spaß dabei.



 

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Soundtrack der Woche.
21_2003

Jimi Tenor Higher Planes

jimitenor

[Hardy] Die elf Tenöre - ein Sänger und zehn Klaningenieure. Eine Brass-Combo im Festtagsgewand. Trashpiloten auf den Flecken des fransigen Jazzteppichs, damals born in the 20. Jahrhundert, Wiedergeburt als laute Funk-Kanone. Moog-Rotze auf Tigerfell. Porn Chic, wenn auch bekleidet. Auditorium mit hohem Schnitt an Prada-Taschen. Gin Tronic fließt schnell und tief. Vorsicht: Jimi Tenor ist in Town.

Nenn ihn nicht Gott. Nenn ihn einen souveränen Musiker. Er hat alles schon mal gemacht. Jimi Tenor ist ein Instrument, das sich selbst bis an ein paar Grenzen spielt, selbstbenannt nach dem Tenorsaxophon, seinen echten Namen Lassi Lehto hat er längst abgelegt. Für die musikalischen Wendungen, die sein Sound seitdem vollzogen hat, bräuchte Lassi Lehto tausend Namen. Aber seit dem Elektrofunk-Mastertape "Take Me Baby", das er bereits auf seinem ersten Homerecording-Album "Sähkomies" 1994 veröffentlichte, heißt er Jimi Tenor. Und seitdem ist Jimi Tenor mehr, als draufsteht.

Versuch über einen Cosmic Dive, Jimi T. im Jahr 2003. Vor allem ein Funk-Musiker mit deftigen Talenten zur Kleidershow, Querflöten-, Moog- und Saxophonbedienung und schließlich zu abstrusen Stimmlagen. Ausflüge nach Psychedelic Rock-Land und auf die Soulside. Die Platte "Higher Planes" ist mit knapp 53 Minuten eine Herausforderung für jeden normal empfindenden Hörer. Seine Konzerte dauern eine Stunde, auch das mehr als genug. Die plattenfreun.de raten: Als dosierte Eiswürfel an Brust oder Nacken genießen, nicht als Eisbach. Dirty Jimi.

Sein Sound war schon mal weniger ekstatisch. Auf der Tour zu seinem zweiten Album "Europa" entdeckte das Elektroniklabel WARP-Records den finnischen Orgelgott, dort erschien dann 1997 "Innervision": Loungiger Orgel-Jazz mit fetten Beats, ohne ein Easy-Listening-Act zu sein. Und Jimi begeisterte ein breiteres Publikum. "Organism" das 1999 erschien, benannte Tenor nach seinem 2. Lieblingsinstrument, der Orgel und brachte Tenor fast schon in die Nähe so alter Helden wie Curtis Mayfield. Mit "Higher Planes" erscheint er zum ersten Mal auf Kitty-Yo. Der elegant angezogene Mainstream ist auf dem ganzen Weg irgendwann an ihm hängen geblieben. Kann man aber weder Jimi noch dem Mainstream vorwerfen.

Sein Publikum weint um zig Zugaben. Das Funk-Gebläse macht irrsinnigen Spaß - das liegt am großen Show-Sound von Jimis glitzernder Bigband und am Show-Chef himself. Vorhang auf: Ein changierendes Fabelwesen, wie man sich einen Zwitter aus Gnom und Elf so vorstellt, mit wilden Blicken unter der schützenden erdbraunen Riesenbrille heraus, die Jacke ein sicher selbst erlegtes Zebrafell. Daneben allerhand anderes Wildlife: ein grinsender Hirschkopf am Jimipult, eine Zauberbox mit Kurbel und wilden Waldgeräuschen, das musizierende Hippievolk hinter ihm in glänzenden Jäckchen und Schürzchen, eine verkleidete finnische Holzarbeiterexpedition mit ausgezeichnetem Jagdhornspiel.

Die Showtreppe runter. Auf die Wolke rauf. Nightmares on Acid, Turbulenzen im hoch fliegenden Flugzeug, ein Soundtrack für einen Film, den man lieber in einem gesunden Geistes- und Gefühlszustand anschauen will. Cosmic Dive in ein Black Hole. Nehmt die Wäsche von der Leine: Jimi Tenor was in Town. Und kommt bestimmt wieder.



Thanks to Tobi Wullert für Facts & Texts.

 

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Soundtrack der Woche.
19_2003

Tomte Hinter all diesen Fenstern

tomte

[Vero] Wir sind kryptisch 3000. Das sind wir, weil unklar ist, was sich hinter all diesen Fenstern verbirgt. Wir sind kryptisch, nicht weil wir keine Meinung haben - oh nein. Wir sind eben reflektiert. Wir sind mittlerweile erwachsen. Deshalb wollen wir keine Schwarz-Weiß-Malerei mehr hören, und Parolen haben in dieser Welt der Erwachsenen erst recht nichts mehr verloren. Zeit für neue Protagonisten auf den Brettern, die Pop bedeuten.

Tomte ist eine Band, die sich kaum noch gegen etwas auflehnt. Nicht einmal gegen die eigene Identität. Denn die gilt es anzunehmen, ja sogar zu feiern - in ihrer Individualität, in ihrer Gleichförmigkeit, ihrer Abgefucktheit. Nach dem Motto "Sag' ja zu dir selbst" wird auf Tomtes neuer Scheibe "Hinter all diesen Fenstern" mit all diesen Menschen, die sich dahinter verbergen, in gewisser Weise "umgegangen", gehandelt, sich auseinandergesetzt. Kein Hass, kein Neid, keine Anklage. Hinter jedem krasseren Negativgefühl findet sich in den Texten Verständnis für die Welt und natürlich Verständnis für sich selbst. Für diese Milde ist man dankbar. Das entspricht dem, was wir sind, was wir sein möchten oder zumindest dem, was wir von unseren Mitmenschen erwarten.

Deshalb wird unser Identifikationsheld auch anständig abgefeiert, nicht die Frontsau, sondern das Frontstreifenhörnchen Thees Uhlmann, mit dem sich immer so nett kuscheln lässt. "Hinter all diesen Fenstern" bietet 10 Songs für jede Lebenslage. Ein kleines Arzneischränkchen, das wir in diesen Tagen brauchen, in denen wir trauern, suchen, bedauern und das Leben schätzen lernen, auch wenn es noch so beschissen sein mag. Zu diesem Zweck darf auch mal eingestanden werden, dass der Hund durchaus als Beziehungssubstitut fungiert: "Endlich einmal etwas, das länger als vier Jahre hält".

Um bei diesem großartigen Song zu bleiben: Nicht nur die Tatsache, dass endlich mal jemand eine Hommage für die Tölen dieser Welt schreibt, ist de Luxe. Es ist der Mut zur Poetik, der die Klarheit an vielen Stellen ersetzt. Zum Thema Hund:

"Ich würde töten wenn du stirbst. Und das sage ich nur Dir in dieser Welt, die für uns aus drei Dingen besteht. Eine Hand auf dem Bauch, eine Stunde in der Luft und die Jagd nach dem Geruch, der Lust verspricht".

Danke dafür. Und auch danke für all die anderen Reflexionen, die auf dieser Platte zu hören sind, die unumstritten im Hier und Heute und im Leben eines jungen Erwachsenen gebraucht werden.

Weil wir es nach wie vor in irgendeiner Weise mit Musik bzw. mit einer Platte zu tun haben, darf aber die Frage nach der Bedeutung diverser Gitarrenriffs noch gestellt werden. "Hinter all diesen Fenstern" ist mit all dieser Poetik und besagter Kryptik eigentlich ein Gedichtband von Thees Uhlmann. Ein Gedichtband mit Klangspuren, die den Gedichten weder zuarbeiten, noch störend sind. Die Klangspuren sind einfach da, plätschernde Riffs, die - wie bei Tomte gewohnt - an The Smiths erinnern lassen. Sie untermalen sozusagen. Vielleicht muss das ja so sein. Die Musik tritt in den Hintergrund zugunsten des Textes. Vielleicht ist das Pop. Vielleicht - warum es nicht mal beim Namen nennen? - ist das nur schlecht.

Vielleicht gehört das aber zu einer implizierten Ästhetik, deren Ursprung wiederum im Text zu suchen ist. Ich weiß es nicht. Vielleicht muss man zu diesem Sound-Verständnis ein Popstreifenhörnchen sein. Das bin ich nicht. Aber - so called - vielleicht erwachsen.


Die Band:  www.tomte.de
Hardy meint auch was:  www.zuendfunk.de


 

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Soundtrack der Woche.
18_2003

The New Folk Implosion The New Folk Implosion

folks

[Ingo] Alles neu im Hause "Folk Implosion"... ? Zunächst natürlich der Name: Aus "The Folk Implosion" ist nun also "The New Folk Implosion" geworden -das Album heißt dem CD-Rücken nach "the new Folk Implosion CD". Wenig originell auf jeden Fall, vielleicht gar einer dieser gewieften Pop-Business Tricks, mit dem Hintergrund die Band durch vordergründige Veränderungen wieder ins Gespräch zu bringen?

Um diese Frage klären zu können, bedarf es zuerst eines kleinen Rückblicks. Früher war "The Folk Implosion" ein Duo, bestehend aus John Davis, seines Zeichens schüchterner Indie-Pop-Songschreiber und Gitarrist, und Lou Barlow, bekannterweise Indie-Rock Ikone, früher bei Dinosaur Jr und hauptamtlich beschäftigt mit seiner Band "Sebadoh". "The Folk Implosion" war für ihn ein Nebenprojekt, eine Spielwiese um seine grenzenlosen musikalischen Möglichkeiten auch auf dem Gebiet "abgedrehter Indie-Pop" ausleben zu können, und John Davis war sein kongenialer Gegenspieler bei dieser heiklen Aufgabe.

Das Ende der Konstellation kam 2000 nach Album Nummer drei: "One Part Lullaby". John Davis hatte genug vom Musik-Biz. Touren, Platten aufnehmen und Pressearbeit sollten ein für allemal aus seinem Leben verschwinden. Für Lou Barlow auf der anderen Seite bedeutete dies den Beginn einer Krise: In seiner Hauptband "Sebadoh" krachte es ebenfalls und so standen beide Projekte auf der Kippe. 2001 erschien lediglich eine düstere Lou Barlow Home-Recordings-CD, Zeuge einer persönlichen Talfahrt.

Ein Jahr später dann die Wende: Mit dem Einverständnis von John Davis wurde die Band "The Folk Implosion", mit dem Zusatz "new" versehen, wiederbelebt. Und damit zur Gegenwart. Lou Barlow holt sich mit Imaad Wasif an der Gitarre und Russel Pollard am Schlagzeug alte Bekannte ins Boot und nimmt "The new Folk Implosion CD" auf. Beim ersten Anhören fällt auf, dass der Sound schwer ist, düster und deprimierend. Mehr Härte, weniger Experiment. Aus vielen kurzen Stücke sind diesmal neun Lange geworden. Das Erbe der Sinnkrise und ein Abschied von den früheren "Folk Implosion"-Tagen mit Pop-Appeal.

Also tatsächlich alles neu bei "Folk Implosion". Sound und Gesicht der Band haben sich deutlich verändert, geblieben ist ihr hoher Wert. Wer sich bereits auf das "Lou Barlow-Universum" eingelassen hat, hat sich die CD wahrscheinlich sowieso blind gekauft - dem Rest sei dies empfohlen. Songs wie das vereinnahmende"Fuse" oder das akustische "Pearl" lassen Lou Barlow und "The New Folk Implosion" auch weiterhin ganz oben im Independent-Himmel scheinen. Definitiv die beste Herbst-Platte dieses Frühjahrs...


 

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Soundtrack der Woche.
16_2003

I-Wolf Soul Strata

der macht nix, der will nur spielen

[Otto] Neue Musik aus Östereich, aber eben nicht von den verdächtigen Toscas, Kruders und Dorfmeisters. Nein: Von Wolfgang Schlögl, seines Zeichens ein Viertel der Sofa Surfers. Als I-Wolf hat der Herr Schlögl nun sein erstes Album fast im Alleingang, ohne die Hilfe der Surfers, hingezimmert. Und dabei gibts nicht den üblichen Kaffeehaus-Sound, der eigentlich nur zum Chillen oder zum Kiffen herhält. Nein, I-Wolf lässt den gewohnten Wiener Downbeat meilenweit hinter sich und zeigt, wie sich moderne Soulmusik anhören kann, ja, eigentlich anhören muss.

Vorbild war ihm dabei der Saxophonist Roland, der im Jahr 1971 das Album "Root Strata" auch ganz alleine reingespielt hat und das trotzdem so geklungen hat wie eine gscheite Platte einer gscheiten Band. Schlögl geht für sich einen Schritt weiter: Sein Werk trägt den Namen "Soul Strata". Und von Seele strotz diese Platte. Und einen Grund gibt's dafür natürlich auch.

Wolfgang Schlögl befindet sich permanent auf Reise, ständig auf Transit. Zwischen seiner Heimatstadt Wien und Los Angeles, der Stadt, in der seine Freundin seit einigen Jahren wohnt. Fernbeziehung galore. Lohnt sich das Reisen? Warum ist der Andere nur am Telefon und nicht hier bei mir? Was passiert in der Zeit dazwischen? Dass bei diesem Kraftakt, bei diesem ewigen Hin und Her, irgendwas hängen bleibt, so im Kopf und im Herz, das ist eigentlich klar. Und um die verschiedenen Facetten seiner Liebe und seiner Seele zum Klingen zu bringen, musste diese Platte passieren. Ging nicht anders.

In Los Angeles kam I-Wolf nach und nach in Kontakt mit mehr oder weniger bekannten Musikern, die seinen Gefühlen auf der Platte eine Stimme gegeben haben. Mit dabei: Dälek, Cesar oder Mr.V. Der Gesang besticht durch soulvolles Gehabe, bei dem ein huuh oder yeah einfach das ist, was es ist, nicht gekünstelt oder kitschig wirkt. Umrahmt und durchdrungen werden die Lieder durch verdammt tiefe Bässe, schräge R'n'B-Fetzten, kantige Breaks, und auch ein Saxophon findet seinen Weg durch den Klangwald. Der Wolf hat damit meiner Meinung nach einen großen Wurf gemacht.

Ob's vielleicht damit zu tun hat, dass 2003 das nationale Jahr des Wolfes ist? Keine Ahnung, ich könnte bei "Soul Strata" trotzdem im Mondlicht heulen.


 

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Soundtrack der Woche.
08_2003

Spookey Ruben Breakfast

spookey ruben

[Ingo] Die Nacht geht, der Tag kommt. Spookey Ruben lädt uns zum zweiten Streich seiner 24-Stunden-Konzeptidee ein. 2 Alben, jeweils 12 Songs als Sinnbild für die 24 Stunden des Tages. In Nordamerika bereits vor anderthalb Jahren an einem Tag erschienen, kommt in Deutschland nun 3 Monate nach der Nacht-CD "Bed" das Album "Breakfast" heraus.

Der Tag beginnt, die Regler werden hochgezogen, die Frequenz erhöht, und das Spielkind Spookey Ruben legt sich mit frischen Elan ins Zeug. Frisch muss Musik für Spookey Ruben immer klingen, so, als ob sie direkt aus dem Ofen kommen würde. Und das, obwohl einige Zutaten für seinen Funky Plastic Pop die Haltbarkeit scheinbar schon überschritten haben.

Inspiriert von zweifelhaften Bands aus den Achtzigern wie Saga oder Spliff mischt Spookey Ruben ganz unzweifelhaft großartig Blubber-Pop, House-Elemente und Synteshizer-Sounds zur eigenen Definition von Pop, labeled by Spookey Ruben. Da stiftet auch das hallverstärkte Billy Idol-Gitarrensolo nur noch wenig Verwirrung. Ironisiert oder nicht, bewußt uncool oder einfach genial: Spooky Ruben beherrscht alle Instrumente, hat jeden Sound der letzten 20 Jahre aufgesogen und verbindet dieses Können und Wissen mit seinem einzigartigen Gespür für guten Pop.

Große Worte für einen kleinen Mann aus Kanada, aber an Spookey Ruben führt dieser Tage kein Weg vorbei. Eine Bewertung welches der beiden Alben besser sei, will ich dabei nicht abgeben. "Bed" oder "Breakfast": Von zwei tollen Alben wähle ich beide. Du bitte auch.



 

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Soundtrack der Woche.
06_2003

Bonnie "Prince" Billy Master And Everyone

bonnie prince billy

[Stefan] Dieser Mann wirft Glaubensfragen auf. Dass Will Oldham alias Bonnie "Prince" Billy wirklich erst vor 32 Jahren in Louisville, Kentucky, das Licht der Welt erblickte, mag ich kaum glauben. Musikalische Abgeklärtheit und die von ihm ausgestrahlte altersweise Ruhe lassen einen Mann vermuten, der mindestens das Doppelte an Jahren auf dem Buckel hat. Ich suche nach Gegenbeweisen.

Ein Blick aufs Cover des neuen Albums "Master And Everyone". Das ist Oldham. Er trägt einen großväterlichen Vollbart. Glauben ist niemals einfach. Das Plattenfirmeninfo. Nicht gerade die Bibel. Aber man sichert dem Leser zu, dass dies das dritte Album unter dem Psyeudonym Bonnie "Prince" Billy ist. Unglaublich wiederum ist der Output an Singles, EPs und Alben, die Will Oldham seit 1993 unter verschiedenen Namen, selten dem eigenen, veröffentlicht hat.

Das Versteckspiel eines scheuen Menschen. Der zudem, so scheint es, immer mehr in seiner Musik verschwindet. Kaum zu glauben. Aber die neuen Songs sind noch sparsamer instrumentiert und wirken noch introspektiver als sein bisheriges Schaffen. Das ist wohl Country-Musik. Mal gewesen. Der zieht Oldham allerdings den Zahn. So ähnlich wie Kurt Wagner von Lambchop dies tut. Kein Zufall, dass er mit William Tyler und Tony Crow auch zwei seiner Bandmitglieder ausgeliehen hat.

Trotzdem herrscht diese unglaubliche Reduktion der Mittel vor. Kein Ton ist zuviel gesetzt, kein Banjo spielt auf, keine Streicher setzen ein. Das Akkordeon-Solo bei "Three Questions" bleibt die Ausnahme. Denn Mittelpunkt ist Oldhams unglaubliche Stimme. Brüchig und fragil. Begleitet und unterstützt wird er bei einigen Songs von Marty Slayton. Und dann fühlt man eine, ja, fast mütterliche Wärme. Trost spenden. Das schafft dieses Album. Und man mag es nach der bisherigen Beschreibung wahrscheinlich kaum glauben, aber Oldham lässt zwar kein Lachen, aber doch ein sanftes Lächeln in seiner Musik mitschwingen. Most of the music I make makes me feel happy. But even unhappiness makes me feel happy. Hat er angeblich mal in einem Interview gesagt.

Eines ist zumindestens sicher: Er glaubt. It's a hard life, for men with no wife. Babe, it's a hard life, God makes you live. So heißt es im letzten Song "Hard Life". Man muss ihm einfach glauben. Ich tue es.



 

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Soundtrack der Woche.
04_2003

The Youngblood Brass Band Unlearn

the youngblood brass band

[Vero] Es könnten noch so viele Bläser in der Combo sein- ich würde meiner Band nie ein Suffix "Brass" zumuten. Das liegt daran, dass Brass mich an nöligen Big Band-Dixie-Sound erinnern lässt oder an den "frischen" Bläsersatz, den der Produzent genau dann in einen Song positioniert, wenn das Arrangement schon 2:30 dahindümpelt. Ich möchte auch nicht gewisse Skabands unerwähnt lassen, die Rock'n Roll- Klassiker so berechenbar arrangieren wie ich den frühmorgendlichen Stuhlgang meines Hundes. Ihr seid nun mal mit Vorsicht zu genießen - Brassisten dieser Welt!

Vielleicht ist das der Grund, warum das Debut-Album der Youngblood Brass Band an uns allen beinahe so unbemerkt vorbeigeschlittert wäre. Vielleicht hätten wir dem "Youngblood" mehr Beachtung schenken sollen. Die neun Typen aus Wisconsin (sechs Bläser / zwei Drummer) machen aus Dixie "Hip-Hop-Dixie". Sicher ist: New Orleans-Freaks können die Youngbloods gar nicht mögen - zu progressiv.

Die Youngbloods machen aus Hip-Hop "Dixie-Hip-Hop". - "Hey Alter, die sind aber nicht aus dem Ghetto, oder?" - Richtig, die Youngbloods sind zu unauthentisch für Hip-Hop. Und von wegen Ghetto: Ganz konventionell hat sich die Band aus einer AG "Big Band" in der High School entwickelt. Das müsste den einigermaßen musikalisch begabten Schülern dieser Welt noch Hoffnung geben: Ja, es gibt ein Leben mit meinem Saxophon nach dem Entertainer.

Damit Talib Kweli und Ike Willis (ehemaliges Frank Zappa-Mitglied) mit einer Band musizieren, darf man aber wahrscheinlich doch nicht ganz "unlearned" sein. Die Bläsersätze bei den Youngbloods sind nie überladen und stressig. Keiner muss vor dem Solo eines Kollegen niederknien. Ein schlichter Tubabass ist oft wirkungsvoller als ein schmetternder neunstimmiges Koloss. Das darf zwar auch ab und an sein, aber die Wirkung ist eben "unlearned". James Last würde Hautausschlag bekommen.

Mit den Breakbeats der Youngbloods hätte er im übrigen auch seine Probleme. Oder noch besser- die Eminem und Madonna-Samples. "I'm not sorry- It's human nature", brummt ein Männerchor kaum verständlich aus dem Background. Die Textzeile, die das Rätselraten nach drei Minuten aufklärt. Einfach klug und gut gemacht. Eindeutiger gestaltet sich "Pastime Paradise". Dass damit des Gangsters Paradies gemeint ist, umreisst man relativ schnell. Eine schöne Stevie-Wonder-Nummer.

"Something" singt der gute alte Ike Willis oldschool rock-soulig (wenn es so was gibt). Der röhrt nicht, sondern rührt eher. Und dafür "Danke". Für das nächste Album würden die Youngbloods gerne dem Herrn Drake neues Leben einhauchen und gegen eine Zusammenarbeit mit Fugazi, Björk oder John Cage hätten die Brasser aus Wisconsin auch nichts. Ich sag' ja und - bitte mehr davon. Die Youngblood Brass Band ist das Innovativste, was Dixie seit längerem passiert ist. Wenn Big-Band in Zukunft so klingt, dann hasse ich auch New Orleans ab jetzt nicht mehr. Ich schwöre.



Und weil die plattenfreun.de nicht in der Lage waren, eigene Jahrescharts abzuliefern, und weil es das musikalische Universum der Youngbloods besser beleuchtet - hier die Jahrescharts der beiden Leader David (Snare, Vocals) und Nat (Sousaphon) :

heavy rotation 2002 (dave):

the shins - oh, inverted world (subpop)
telefon tel aviv - fairenheit fair enough (hefty)
roots manuva - dub come save me (big dada/ninja tune)
c-clamp - longer waves (ohio gold)
the cinematic orchestra - every day (ninja tune)
retina - volcano waves 1-8 (hefty)
four tet - pause (warp)
nick drake - pink moon (island)
el-p - fantastic damage (defintive jux)
bjork - vespertine (sony)
fugazi - the argument, instrument (dischord)
aesop rock - labor days (definitive jux)
jeff buckley - grace (columbia)
the flaming lips - yoshimi battles the pink robots (columbia)
tortoise - standards (thrill jockey)
20 years of dischord - box set (dischord)
mama digdowns brass band - delicious
savath savalas - folk songs for trees and honey (hefty)
autechre - confield (warp)
aphex twin - drukgs (warp)
anti-flag/bouncing souls - split EP
rye coalition - the lipstick game
sonic sum - the sanity annex (ozone)
dj krush - zen (columbia)
low - trust (kranky)
pole - lp1
brian blade fellowship - self-title (blue note)
branford marsalis - footsteps of my fathers (marsalis)
brad mehldau - largo (warner bros.)


heavy rotation 2002 (nat):

frank zappa - you can't do that on stage anymore volume 2, one size fits
all, roxy and elsewhere
carlinhos brown - alfabetagamazado
squarepusher - go plastic, big loada, do you know squarepusher
the roots - phrenology
tenacious d - fueled by satan
autechre - chiastic slide
eminem - the eminem show
moscow arts trio
hermeto pasqual - zabumba buma
eddie palmieri y su cunjunto la perfecta
telefon tel aviv - farenheit fair enough
mama digdowns brass band - delicious


We're reading:

don delillo - underworld
herman hesse - the steppenwolf
james dickey - to the white sea
w.h. auden - selected poems
ralph nader - crashing the party
yukio mishima - the sound of waves
anthony storr - feet of clay (a study of gurus)
arundhati roy - the god of small things



 Youngblood Brass Band Website (Flash)

 

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Soundtrack der Woche.
03_2003

Console Reset the Preset

console

[Hardy] Auf diese Töne hat Martin G. immer noch ein Monopol. Zum Beispiel auf diesen am Anfang des Stücks Diagonal: Der sanfte, abgestoppte Schlag auf ein Becken, gefiltert wie durch ein langes schwingendes Rohr, längsgezogen und mehrmals umgedreht. Und am Ende eine einzelne Taste auf seiner unendlichen Tastatur. Wie die B-Seite der Doppel-CD Reset the Preset losgeht, mit diesem digitalen Stop-and-Go-Tango, das klingt nach Heimat, nach dem Ort im Universum des Martin G., wo die Klänge mit viel Feeling wohnen. Dort, wo Platten nicht produziert, sondern gemacht werden. Allein, zu zweit, mit Band oder ohne. Zuhause. Console as usual.

Aber erstmal, besser vermarktet, besser ausgekoppelt, besser klingend weht aus der weiten Ferne des Poplandes der eigentliche erste Teil, die Reset-Seite der neuen Platte, herein. Traurige Frauenstimme (nenn es den Weilheim-Tune) an schmelzenden und gekitteten Sample-Akkorden. Gretschmann hat zu seinem Apple-Baukasten das neue Ergänzungs-Set "Pop II" erhalten. Klangchristmas am 13. Januar. Release in eine neue Abteilung. Wo stehen jetzt im Laden die Console-Platten?

Surfin' Atari wäre nicht nur mein Single-Kandidat gewesen (statt der wahren ersten Single Suck and Run), sondern ist auch die beste Zusammenfassung des neuen Stroms, der durch die Console fließt. Aus den technoiden Versatzstücken, aus dem Applebaukasen, der Klänge in jeder computationalen Epoche (also alle 18 Monate) doppelt so fein auflösen und zerlegen kann, quasi grenzenlos, wird ein neues Ganzes mit einer sweeten Decke drauf gebaut. Miriam Osterrieder, Schulfreundin von Gretschmann, singt sad. Aus Dekonstruktion wird neue Architektur.

Die Decke dieses neuen Soundhauses ist mir etwas zu gewöhnlich geschwungen. "Ich war schon immer eine alte Popsau", sagt Martin Gretschmann zur Veröffentlichung, zum Paradigmenwechsel, der ja eigentlich keiner ist. Was ist 14 Zero Zero, wenn kein Pop? An ein Missverständnis zu glauben, maße ich mir nicht an. Jedenfalls will Console mit dieser Platte seinen Laptop ans Stromnetz des großen Business hängen (nicht den Verkaufszahlen, sondern dem Inhalt nach). Gretschmann hat Gesang aufgenommen, gefeilt, ihn als Ganzes genommen, die Stimme zum Teil verfremdet, aber immer die Songstruktur, Melodie, Strophe, Refrain in den Mittelpunkt gestellt. Zum ersten Mal.

Und das ist der Unterschied zum Pop auf der 1998er-Platte Rocket in the Pocket: Dort kann jedes einzelne Sample, jede Phrase so sweet klingen wie sie will - man hört anständigen Elektro und fühlt dabei Pop. Jetzt hört man Pop - und fühlt im Wesentlichen nur eine traurige Stimme. Sie ist der Haupt-Act. Dafür ist aber sie nicht gut, für Pop am Ende auch nicht sweet genug. Pop muss für gewöhnlich froh klingen. Die Reset-Platte klingt in der Hauptsache nach einem sehr gedankenvoll orchestrierten Werk, frohe Gelassenheit aber fehlt, und besonders ungewöhnlich klingt sie auch nicht. Am besten, echtesten noch: der erste Teil des Tracks Dirt on the Wire, in dem Miriam Osterrieders Stimme kaum mehr zu erkennen ist, nichts mehr ist als ein Sample zwischen Bassdrum und Snare - Elektropop. Und nach der gewohnt verwürfelten Bridge und der souveränen Fläche taucht wieder die unverstellte Stimme auf, die eben leider nicht so gut kann, wie sie will oder soll - Pop-Pop. Reiht sich ein in die Millionen, die es täglich versuchen.

Console versucht zuviel. Architektur vs. Bruchstück, Gesamtwerk gegen Dekonstruktion: Wer die blitzenden, blinkenden, charmanten, sich unerwartet gut anfühlenden Teile der vorhandenen Welt sammelt, sortiert und ordnet (was Gretschmann versteht wie wenige andere), der steht nicht unter dem Druck, eine wunderbare, perfekte Welt komplett neu erschaffen zu müssen. Sowas können nämlich auch nur wenige: Die richtig großen Produzenten dieser Musikwelt. Und immer, wenn ich in Track 7, Secret Game, auf die zwei Worte "Tell me" stoße, die verführerisch nach einem Akkord aus Britneys Hit me Baby, one more time klingen (sie singt "Show me"), dann wünsche ich mir unbewusst, dass es mit "... how you want it to be" weitergeht, mit freundlich lächelndem Britneymund und nicht mit traurigem Blick ins nebelverhangene Notwist-Land. Consoles neue Musik selbst hat mir diesen Wunsch eingeflüstert. Natürlich kann sie ihn nicht erfüllen.

Am Anfang ähnlich unzugänglich wie das Centre Pompidou-Album kommt die elektroide Preset-Hälfte dann daher. Ein Wald voll Entspannung, in dem Bäche fließen und Felsen tanzen. Der Versuch, große Popmusik zu machen, ist vielleicht immer der Versuch, von Menschenhand etwas zu schaffen, was schöner und anrührender ist als die Natur. Die Schönheit der Natur muss man sich erarbeiten, sie selbst erkennen. Das Menschengemachte erschließt sich sofort. Dafür aber ist es in seiner Tiefe begrenzt, während die Natur nie aufhört. In Consoles Samplegarten, auch im neuen Preset-Pavillon, kann man endlos spazierengehen. Die Hausfassade des Reset-Refugiums dagegen werde ich vielleicht schon nach einem einzigen Sommer neben den anderen, bunteren, frischeren, leuchtenderen, fröhlicheren Fassaden kaum mehr erkennen.


 Console im Web

 

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Soundtrack der Woche.
02_2003

Sampler Bis auf Weiteres eine Demonstration

bis auf weiteres eine demonstration

[Otto] Plattenfreund Stefan drückt mir eines Abends in meiner DJ-Verschnauf-Pause unverhofft diese zwei Silberlinge in die Hand und freut sich wie ein Schnitzel: Zwei neue Lieder von Emporio Knarf Rellöm. Der Schatz wird gleich von mir im Eisenkoffer verschanzt und so gehütet wie sonst nur Frodos Ring.
Damals gerade mal den Einblick in das Tocoversum gewonnen, seh ich mich in einem Bamberger Einkaufstempel im CD-Fachgeschäft, wie ich blöd auf den Lado-Sampler "Bessere Zeiten klingt gut" glotze und den abgenutzen Kopfhörer näher an meine Ohren drücke. Darauf Bands, deren Namen ich nie vorher gehört habe. Sounds, die mich verwirren und mich kopfnicken lassen und ein angenehmes linkes Pop-Gefühl, das mir im Takt auf die Schultern klopft und "schönen Guten Tag" sagt.Ein Lied hat es mir damals besonders angetan: "Der Idiot" von Knarf Rellöm.

Und er ist es auch, der nun die Doppel-Demo mit einem Vocoder-Stück eröffnet, das alle Daft Punks dieser Hemisphäre zurück nach Mangahausen schicken will. Schicken muss. Es geht, abgesehen von den Fehlfarben, den Monostars und noch`n paar anderen, mit meist unbekannten Bands weiter, die mal klirren, mal fiepsen und immer krachen. Zumindest im Hirn. Manches davon geht von allein, manches braucht nach einiger Zeit die Skip-Taste. Das ist wohl immer so bei Compilations, und hier wahrscheinlich auch beabsichtigt. Auch der Anti-Hit trifft ins Schwarze.

Etwas bleibt, nachdem mein Frühstück schon lange gegessen und auch die zweite CD seine letzte Runde über dem Laser dreht: die Gewissheit, dass "Bis auf Weiteres eine Demonstration" zwei kantige Stücke kunstvoller Tanz-Politik sind, welche die heutige ach so bunte Popwelt vielleicht dringender brauchen kann als 1983 die BRD die Grünen. Ihr habt die Wahl.


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